Die Forschungsförderung in Europa wird sich verändern

Angesichts aktueller Diskussionen in Brüssel ruft der FORWIT die Bundesregierung auf, sich aktiv in die Gestaltung der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik einzubringen.

Der gestern publizierte Bericht der Expert:innengruppe zur Zwischenevaluierung des Forschungsrahmenprogramms „Horizon Europe“ bringt neuen Diskussionsstoff in die Gestaltung der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik. Der sogenannte Heitor-Report bestätigt die Relevanz und die Effektivität des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation in Europa. Gleichzeitig werden notwendige Reformen eingemahnt. „Ich sehe im Heitor-Bericht viele sinnvolle Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Rahmenprogramms,“ so Helga Nowotny, Mitglied des Rates für Forschung, Wissenschaft, Innovation und Technologieentwicklung (FORWIT).

Ich sehe im Heitor-Bericht viele sinnvolle Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Rahmenprogramms
Helga Nowotny

Der Bericht kommt allerdings zu einem Zeitpunkt, da sich die Gerüchte über grundlegende Veränderungen im Budget der EU verdichten, die sich auch auf die Forschungs- und Innovationspolitik auswirken könnten. „Es ist als positiv zu bewerten, dass Ursula von der Leyen den Ernst der Lage erkannt hat, in dem sich Europa befindet. Das Projekt der europäischen Integration braucht mehr Fokus, mehr Entscheidungskraft“, so Thomas Henzinger, Vorsitzender des FORWIT. Allerdings: „Die forschungs- und innovationspolitischen Instrumente der EU funktionieren vergleichsweise gut. Sie dürfen bei den geplanten Reformen nicht zum Kollateralschaden werden.“

Mögliche Auswirkungen auf Spitzenforschung

Konkret plant die Europäische Kommission angeblich, einen zentralen Competitiveness Fund zu schaffen, der ihr mehr Entscheidungsspielraum geben soll. „Das Rahmenprogramm, oder zumindest Teile davon, gemeinsam mit vielen anderen Programmen in einen solchen Fonds zu überführen, wird aus unserer Sicht der zentralen Bedeutung von Forschung und Innovation nicht ausreichend gerecht“, meint Ratsmitglied Helga Nowotny. Eine solche Eingliederung könnte zu Lasten exzellenter Forschung und Entwicklung führen – nicht zuletzt, weil derzeit unklar sei, wie eine „policy-orientierte“ Budgetzuteilung erfolgen soll.

Sollte der ERC in einen Competitiveness Fund eingegliedert werden, wäre die europäische Förderung der Spitzenforschung nicht mehr forscher:innen-, sondern policy-getrieben.
Thomas Henzinger

Im schlimmsten Fall würde etwa der European Research Council (ERC) in einen solchen Fonds integriert. „Der Erfolg des ERC ist ganz wesentlich auf seine Unabhängigkeit zurückzuführen. Durch ihn konnte ein wichtiger Freiraum geschaffen werden, der von Forscher:innen getriebene exzellente Grundlagenforschung ermöglicht. Sollte der ERC in einen Competitiveness Fund eingegliedert werden, ginge womöglich nicht nur seine Unabhängigkeit verloren, die europäische Förderung der Spitzenforschung wäre dann auch nicht mehr forscher:innen-, sondern policy-getrieben“, warnt Henzinger.

Österreichs Stärken in der Unternehmensforschung ausbauen

Stark diskutiert werden derzeit auch die Programme der sogenannten zweiten Säule im Rahmenprogramm, die den Bereich der kooperativen, übernationalen angewandten Forschung beinhaltet. Österreichische Unternehmen und Forschungsorganisationen sind gerade in diesen Programmlinien erfolgreich. Nowotny mahnt zu einem Umdenken an – unabhängig davon, wie Forschungsförderung in Zukunft gestaltet werden wird. „Wir müssen weg von dem Denken, dass es nur darum geht, möglichst viel Geld aus Brüssel zurückzuholen. Vielmehr sollten wir lernen, das europäische Forschungsprogramm bestmöglich zu nutzen – für die Stärkung der österreichischen FTI-Strategie im europäischen und globalen Kontext“, so Nowotny. Konkret bedeute das, europäisch vernetzt und koordiniert jene Felder der kooperativen Forschung zu stärken, in denen Österreich führend ist, und dadurch effektiv zum FTI-Standort Europa beizutragen.

Österreich muss sich aktiv in die Debatte einbringen

Die österreichischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen müssen sich auf Veränderungen einstellen. „Die Gestaltung und Governance-Struktur des nächsten Rahmenprogramms sind noch nicht absehbar. Umso wichtiger ist es, dass die nächste Bundesregierung gemeinsam mit den betroffenen Ministerien die Entwicklungen aufmerksam verfolgt und sich aktiv und konstruktiv in die europäische Debatte einbringt“, appelliert Henzinger, und sieht ebenfalls die Schlüsselorganisationen und Akteur:innen der österreichischen FTI-Landschaft aufgerufen, sich zu beteiligen.

Europäische Forschungsförderung ist ein Eckpfeiler für Österreichs und Europas globale Wettbewerbsfähigkeit.
Thomas Henzinger

Auch der FORWIT werde seinem Auftrag entsprechend weiterhin seinen Beitrag dazu leisten und der Bundesregierung seine Expertise zur Verfügung stellen. „Europäische Forschungsförderung ist ein Eckpfeiler für Österreichs und Europas globale Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb hat sich der FORWIT kürzlich auch für die Anhebung des nächsten mehrjährigen europäischen Forschungsbudgets auf € 200 Milliarden ausgesprochen“, hält Henzinger abschließend fest.

Über den Heitor-Report

Die Europäische Kommission beauftragte im Dezember 2023 eine Expert:innengruppe mit der Zwischenevaluierung des europäischen Forschungsförderungsprogramms Horizon Europe. Unter dem Vorsitz von Manuel Heitor bringt die Gruppe fünfzehn ausgewiesene Expert:innen aus der EU zusammen, um wertvolle Ratschläge zum Stand von Forschung und Innovation in der EU zu geben. Unter den Mitgliedern befinden sich auch der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Heinz Faßmann und die stellvertretende Vorsitzende des FORWIT und Innovationsexpertin Sylvia Schwaag Serger. Am 16. Oktober 2024 veröffentlichte die Gruppe ihren Bericht zur Zwischenevaluierung des Horizon Europe-Programms.